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4.4. Hydroborierung

Bei der Hydroborierung handelt es sich um die elektrophile Addition eines Borans an eine Doppelbindung. Da Wasserstoff eine höhere Elektronegativität als Bor hat, agiert in dieser Reaktion R2B+ als Elektrophil und H- als Nukleophil. Das aus dieser Reaktion erhaltene Boran kann zu einer Vielzahl von Verbindungen aufgearbeitet werden. Einige wichtige sind im obigen Schema angegeben.

Während die in den beiden vorigen Kapiteln behandelten elektrophilen Additionen an Doppelbindungen über schrittweise Mechanismen mit geladenen Intermediaten verlaufen, handelt es sich bei der Hydroborierung um eine konzertierte Reaktion. Das heißt, die Bindungen zum Elektrophil (B+) und zum Nuklephil (H-) werden mehr oder weniger synchron gebildet. Wie im Mechanismus angedeutet, entsteht die C-B Bindung aber etwas früher als die C-H Bindung. Daher gibt es im Übergangszustand eine partielle positive Ladung auf einem Kohlenstoffatom der formaligen Doppelbindung. Das ist zwar kein echtes Carbokation, wie es in den vorigen Kapiteln der Fall war, die Regel von Markownikow gilt aber trotzdem. Die partielle positive Ladung, liegt bevorzugt auf dem Atom, wo das stabilere Carbokation lokalisiert wäre und das Boran addiert an den Kohlenstoff, der weniger gut eine positive Ladung stabilisieren kann. Da in dieser Reaktion das Nukleophil und das Elektrophil im selben Molekül sind, müssen beide von der gleichen Seite der Doppelbindung kommen. Es handelt sich daher um eine syn-Addition.

Eine häufige Variante zur Aufarbeitung ist die Umsetzung mit H2O2 und NaOH. Der Mechanismus wird in der folgenden Aufgabe behandelt.

Eine Base wie NaOH ist notwendig um Wasserstoffperoxid H2O2 zu deprotonieren und es so nukleophiler zu machen. Nachdem das Boran an die Doppelbindung addiert hat, reagiert es mit HOO-. Bor hat als Element der dritten Hauptgruppe nur drei Valenzelektronen, bildet daher nur 3 Bindungen und hat ein freies p-Orbital. Es kann also zwei Elektronen aufnehmen und ist ein Elektrophil. Aus diesem Grund kann HOO- das Boran angreifen und es entsteht eine Spezies mit formal negativer Ladung am Bor. Durch eine Umlagerung wird wie gezeigt ein Sauerstoff-Atom zwischen den Alkylrest und das Bor eingefügt. Die Reaktion findet insgesamt drei Mal statt, da alle drei Alkylreste reagieren können. Durch die Aufarbeitung mit Wasser werden die Alkoxy-Reste (-OR) am Bor durch Hydroxygruppen ersetzt und aus den formaligen Alkyresten am Bor werden Alkohole. Man hat also aus der Sicht des Ausgangsmolekül –BR2 durch –OH ersetzt.

Regioselektivität

Wie im obigen Mechanismus erklärt, addiert das Bor-Atom normalerweise an das niedriger substituierten Ende des Alkens. Wird es zum Alkohol aufgearbeitet, erhält man die Hydroxygruppe ebendort. Im Gegensatz dazu, erhält man bei der „normalen“ elektrophilen Addition an eine Doppelbindung, z.B. mit H2O und H2SO4, das Markownikow Produkt: den Alkohol auf der höher substituierten Seite des Alkens. Durch die Hydroborierung wird also das formale anti-Markownikow zugänglich. Je nachdem welches Produkt gewünscht ist, wendet man die Addition von H2O oder die Hydroborierung an.

Ein weiteres Problem der Regioselektivität gibt es, wenn mehrere Doppelbindungen in einem Molekül vorhanden sind. Da in einer elektrophilen Addition die Doppelbindung als Nukleophil reagiert, d.h. sie mit ihren Elektronen das Elektrophil angreift, ist sie umso reaktiver, über je mehr Elektronendichte sie verfügt. Da Alkylgruppen die Elektronendichte erhöhen, reagiert die Doppelbindung umso eher, je höher substituiert sie ist. Bei Hydroborierungen mit BH3 beobachtet man genau diese Selektivität. Gibt es zwei Doppelbindungen im Molekül wird im Normalfall die höher substituierte reagieren.

Neben BH3 gibt es eine Vielzahl anderer Hydroborierungsreagenzien. Beliebt sind z.B. die sterisch gehinderten Reagenzien 9-BBN (9-Borabicyclo(3.3.1)nonan) und Disiamylboran (die Strukturen sind unten gegeben). Sie weisen eine andere Selektivität als BH3 auf. Wegen ihrer Größe können sie die eigentlich reaktivere höher substituierte Doppelbindung nicht erreichen und reagieren selektiv mit der niedriger substituierten Doppelbindung.

Bei der Hydroborierung mit dem sterisch nicht anspruchsvollen Reagenz BH3 reagiert die höher substituierte Doppelbindung bevorzugt und das formale anti-Markownikow Produkt wird gebildet. Mit 9-BBN entsteht, da es sich ebenfalls um eine Hydroborierung handelt, zwar auch das anti-Markownikow Produkt, aufgrund der Sterik reagiert aber die niedriger substituierte Doppelbindung. Bei der Reaktion mit H+ und H2O handelt es sich um eine „normale“ elektrophile Addition an eine Doppelbindung. Die reaktivere, höher substituierte Doppelbindung reagiert bevorzugt und das Markownikow-Produkt entsteht. An diesem Beispiel sieht man wie man, wie man durch die Wahl der richtigen Reagenzien die Regioselektivität steuern kann.